SdGcK: 1. Faust des Südens, Bein des Nordens; Speer des Ostens, Stock des Westens 南拳北腿,東槍西棍.

Dieser Ausdruck gilt einerseits allgemein für die chinesischen Kampfkünste; zugleich stellt er in kurzer Form eine regionale Struktur zwischen den Kampfkünsten her.
Die Geschichte der chinesischen Kampfkünste ist lang und es heißt, dass sich ihre Ursprünge bis zu 4500 Jahren zurückverfolgen lassen.
Für die alte Literatur findet sich im etwa 290 vor Christus entstandenen Zhuangzi (莊子) folgender Eintrag:
"Damals fand König Wen von Zhou Gefallen an der Schwertkunst. Mehr als 3000 Schwertmeister kamen auf seine Einladung hin zu seinem Hof."
Und im Kapitel Yiwenzhi (芸文志) des um das Jahr 90 entstandenen Hanshu (漢書) heißt es:
"Schwert-Weg (剣道) 38 Kapitel; Hand-Kampf (手搏) 6 Kapitel."
Für die damalige Zeit bestätigt dieser Eintrag also in der Literatur 38 Kapitel zur Schwertkunst und 6 Kapitel zum shobou bzw. Hand-Kampf.
Für die chinesischen Kampfkünste gilt, dass es aufgrund der langen Geschichte und der Größe des Landes erhebliche Unterschiede gibt, und die Stilrichtungen und Waffen komplex sind. Eine grobe Unterteilung ist jedoch, ob Waffen gebraucht werden, oder ob es sich um eine waffenlose Art handelt; und bei den waffenlosen Arten gibt es außer dem Schlagen (Quanfa) noch Ringen (Shuaijiao) und Hebeln (Qinna).
Das Shuaijiao (摔角) ist wie das Sumo und Judo in Japan auf Wurftechniken konzentriert, wobei in der Frühzeit Schlagen und Werfen gemeinsam gebraucht wurden.
Das Qinna (擒拿) konzentriert sich wie das alte Jujutsu in Japan auf Hebel- und Würgetechniken, sowie auf das Attackieren von gefährlichen Körperstellen.
Die verschiedenen Stile der chinesischen Kampfkunst haben bei ihrer Entstehung eine starke Prägung durch die lokalen Eigenheiten erfahren.
Es heißt quan xing yu qi (拳興於斉); d. h. das Schlagen bzw. Quanfa ist in Qi (einem Gebiet in Shandong) entstanden.
Weiterhin heißt es jian qi wu yue (剣起呉越); d. h. der Schwertkampf ist in Wu und Yue (Zhejiang und Jiangsu) entstanden.
Auf diese Weise gibt es noch weitere Redewendungen, welche auf die lokale Entstehung von Stilen hinweisen.
"Faust des Südens, Bein des Nordens; Speer des Ostens, Stock des Westens" stellt ebenfalls solche lokalen Unterschiede dar.
"Faust des Südens, Bein des Nordens" meint, dass die Kampfkünste welche im Becken des Yangzijiang (Changjiang) und südlich davon entstanden sind, vor allem Handtechniken aufweisen und wenig Beintechniken. Die Kampfkünste, welche im Becken des Gelben Flusses (Huanghe) und nördlich davon entstanden sind, weisen dagegen vor allem Beintechniken auf und wenig Handtechniken. Es handelt sich also um eine kurze Charakterisierung der diversen Kampfkünste.
Aber wie viele Stile der chinesischen Kampfkunst gibt es überhaupt?
Einer Untersuchung aus dem Jahr 1956 zufolge gibt es im Gebiet des Gelben Flusses neben Shaolinquan, Xingyiquan und Taijiquan insgesamt 87 Stile; im Bereich des Yangzijiang zählte man neben Zuibaxian (酔八仙), Qiujiaquan (丘家拳), Yumenquan (魚門拳) insgesamt 46 Stile; im Bereich des Zhujiang zählte man neben Longquan, Hequan, Shequan insgesamt 19 Stile.
"Speer des Ostens, Stock des Südens" verweist ebenfalls auf eine lokale Eigenart, nämlich dass im Osten des Landes häufiger der Speer, und im Westen des Landes häufiger der Stock gebraucht wurde.
Der Stock bzw. gun ähnelt der Stockkunst bzw. bôjutsu (棒術) in Japan. Zwar gibt es allerlei Arten, aber für gewöhnlich wird ein Stock von etwa 1.7 Meter Länge verwendet.
Der Stock hat eine tiefe Beziehung zu den Hui (eine chinesische Minderheit islamischen Glaubens). Die Hui, welche im Nordwesten Chinas leben und vorwiegend ein nomadisches Leben führen, zeichnen sich durch ihre Anwendung des Stocks aus und haben die Stock-Methodik entwickelt.
Auf der anderen Seite sind früher im östlichen Teil des Landes viele Speer-Methoden entstanden, und während der weiteren Entwicklung hat sich besonders der Lihua-Speer der Yang-Familie hervorgetan.
Die Begründerin des Lihua-Speers der Yang-Familie ist Yang Miaozhen (楊妙真) aus der südlichen Song-Zeit [1126-1279], welche selbst gesagt hat, "der Lihua-Speer ist seit zwanzig Jahren unübertroffen".
Yang Miazhen war die jüngere Schwester der Kämpferin Yang An´er (楊安児), welche auch Si Niangzi (四娘子) genannt wurde. Mit dem Speer kämpfte sie im Norden gegen die Soldaten der Jin [1125-1234], welche dieses Gebiet besetzt hatten, wobei es oft gelang, die Armee der Jin zurückzuschlagen.
Nach dem Tod von Yang An´er heiratete sie den Militär Li Quan (李全) und war in der Gegen von Shandong aktiv. Aus diesem Grund ist der Liuha-Speer der Yang-Familie in dieser Region verbreitet.
Während der Ming-Zeit schreibt der für seine Kämpfe gegen die Japan-Piraten berühmt gewordene Feldherr Qi Jiguang in seinem Jixiao xinshu:
"Die Speer-Methode des Liuhua-Speer, welche erstmals von der Yang-Familie übermittelt wurde, wird von allen Menschen hoch geschätzt, aber nur wenige Menschen der späteren Zeit haben die Geheimnisse der Freiheit ihrer Techniken ergründet."
Qi Jiguang hat zudem seine Untergebenen den Lihua-Speer der Yang-Familie üben lassen.

