Das Taijiquan der Vier Hauptrichtungen
Sizheng Taijiquan
nach Meister Chen Peishan
In dem Beitrag "Was ist Taijiquan" werden einige problematische Entwicklungen und Missverständnisse erwähnt, welche sich mit der weltweiten Verbreitung des Taijiquan in der neuesten Zeit ergeben haben. Es wird darauf hingewiesen, dass traditionelles Taijiquan komplex und lernintensiv ist, und der hierfür nötige Zeitaufwand viele Interessenten abschreckt, oder sie nach einer ersten Phase der Begeisterung wieder vom Taijiquan Abstand nehmen.
Nicht zuletzt als Ausweg aus solchen Schwierigkeiten hat daher Meister Chen Peishan im Jahr 2006 das von ihm kreierte Sizheng-Taijiquan vorgestellt, welches er über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren für den modernen Menschen entwickelt hat. Der Ausdruck sizheng bezieht sich dabei auf die vier (si) Hauptrichtungen (zheng) im Raum. Eine weitere Bedeutung von sizheng sind vier Haupt-Leitbahnen bzw. Meridiane der chinesischen Medizin, welche besonders angeregt werden sollen. Es handelt sich um eine kurze Taijiquan-Form (taolu) und begleitende Übungen, welche auf denselben Prinzipien wie das traditionelle Chen-Clan Taijiquan des Kleinen Rahmen basieren.
Zugleich wurden einige Neuerungen eingeführt, welche die spezielle (körperliche) Ausgangssituation vieler heutiger Menschen berücksichtigt. So ist zum Beispiel die für das ganze Taijiquan so wichtige Spiralbewegung, welche über Füße, Beine und Bauchzentrum (dantian) den Rumpf entlang bis zu den Armen und Fingerspitzen reicht (chansi-fa, "Methode vom Abhaspeln des Seidenfadens") konsequent im Sizheng-Taijiquan erhalten. Andererseits wird dieses so wichtige Konzept, welches in kompakten Bewegungen nicht leicht zu verstehen und körperlich umzusetzen ist, durch eine Vergrößerung der Bewegungen für den Anfänger besser zugänglich.
Die Vergrößerung der Bewegung (wobei es sich nicht einfach um eine lineare Streckung, sondern um eine dreidimensionale Expansion handelt) mobilisiert zudem das Schultergelenk sowie Brust und Rücken, wodurch viele schmerzhafte Beeinträchtigungen in diesem Areal gelindert oder regeneriert werden können. Ein wichtiger Schlüssel hierfür besteht darin, die Bewegungen nicht zu forcieren, sondern sie aus der Absicht bzw. Vorstellungskraft (yi) heraus entstehen zu lassen (yong yi bu yong li: "Vorstellung benutzen, Kraft nicht benutzen"). Das so konzipierte Sizheng-Taijiquan ist damit eine vollwertige, eigenständige Übungspraxis, welche weitaus weniger Zeitaufwand bedarf als das umfassende traditionelle Taijiquan.
Da diese Verkürzung jedoch nicht durch eine Verflachung oder Abänderung der wesentlichen Konzepte erfolgt, ist es bei wachsendem Interesse jederzeit möglich, ohne Um- oder Neulernen mit der Übung des traditionellen Taijiquan zu beginnen. Die gilt umso mehr, als Meister Chen Peishan im Jahr 2015 der Sizheng-Form noch eine Sizheng-Schwert-Form an die Seite gestellt und es damit um eine weitere wichtige Komponente des traditionellen Taijiquan, dem Waffentraining, ergänzt hat.